Studie zu Unfällen mit Fußgängern

Seit dem Jahr 2001 werden in der Bundehauptstadt Fußgänger-PKW-Unfälle analysiert. Man erhofft sich Erkenntnisse für die Prävention.

Mobilität ist für den modernen Menschen unverzichtbar. Straßenverkehrsunfälle sind eine Schattenseite der zunehmenden Mobilität – jedoch keineswegs schicksalhaft. Überwiegend sind sie Folge menschlichen Fehlverhaltens, weshalb sich die Sicherheitsforschung der Prävention widmet.
In Berlin verunglückten im Jahr 2003 bei Verkehrsunfällen 77 Menschen tödlich, 30 davon waren Fußgänger. Seit 2001 läuft ein Kooperationsprojekt zwischen dem Automobilhersteller Ford, dem Unfallkrankenhaus Berlin (ukb), der Unfallchirurgischen Abteilung der Universität Greifswald, Der DEKRA – Unfallforschung und der Bundesanstalt für Straßenwesen zur Verbesserung des Fußgängerschutzes (IMPAIR-Studie: In depth Medical Pedestrian Accident Investigation and Reconstruction Study). Ziel dieser interdisziplinären Studie ist es, künftig Autos so konstruieren zu können, dass Fußgänger im Falle einer Kollision mit dem Auto bestmöglich geschützt werden. Weltweit werden hier das erste Mal nur Fußgänger-PKW-Unfälle durch Mediziner und Techniker gemeinsam erforscht.
Fußgängerunfälle sind besonders schwer zu rekonstruieren, da die Biomechanik des Unfallhergangs von sehr viel mehr Variablen abhängt als bei Verkehrsunfällen, bei denen Insassen an vorgegeben Plätzen des Fahrzeugs in wenig variabler Richtung gesessen haben. Wenn in der Bundeshauptstadt oder ihrer Umgebung ein Fußgänger-PKW-Unfall geschieht, wird ein Mitarbeiter der DEKRA-Unfallforschung von der Rettungsleitstelle der Berliner Feuerwehr zeitgleich mit dem Notarzt alarmiert. Er nimmt am Unfallort alle unfallrelevanten Daten wie zum Beispiel die Geschwindigkeit des Fahrzeugs oder Straßenbedingungen auf. Der Notarzt dokumentiert die Verletzungen des Fußgängers. Im ukb werden lückenlos alle weiteren medizinischen Diagnosen des verletzten Fußgängers dokumentiert.
Unter der Leitung von Dr. Julia Seifert, Leitendes Oberärztin der Rettungsstelle des ukb, wurden bisher 32 Patienten in die Studie aufgenommen. Besonders häufig erleiden die Unfallopfer Kopf- und Beinverletzungen. Aus den Spuren eines Unfalls wird in interdisziplinärer Zusammenarbeit versucht, den Unfallhergang zu rekonstruieren. Darüber hinaus dienen die gewonnenen Daten aus dem realen Fußgänger-PKW-Unfall dazu, mithilfe eines von Ford selbst entwickelten so genannten Finite-Elemente-Modells die Auswirkung eines Unfalls auf den Fußgänger am Computer so realitätsgetreu wie möglich zu simulieren.

Oft Unachtsamkeiten auf dem Weg zur Bahn oder zum Bus.
Ebenso werden Ansätze zur Veränderung menschlichen Fehlverhaltens deutlich, die Fußgänger-PKW-Unfälle präventiv verhindern könnten: So sind besonders häufig Fußgänger betroffen, die eine Fahrbahn überqueren, um die Straßenbahn oder den Bus zu erreichen. Und immer wieder zeigt sich, dass schwerste Verletzungen bereits bei einer Autogeschwindigkeit ab 30 km/h auftreten.
Im Mai 1969 untersuchten und dokumentierten erstmals Ingenieure mit Unterstützung der Polizei und des Landes Baden-Württemberg schwere Verkehrsunfälle mit Mercedes-Benz am Unfallort. Dabei wurden unter anderem Informationen über das Verformungsverhalten der Karosserien und Verletzungsursachen gesammelt. Diese Erkenntnisse flossen in die Entwicklung neuer Fahrzeugmodelle ein.
Im Jahr 2000 begann an der Ernst-Moritz-Arndt Universität in Greifswald ein Unfallforschungsprojekt. Das mittlerweile 30-köpfige Forschungsteam erhebt pro Unfall 500 bis 3000 Einzeldaten, erstmals auch individuell psychologische Aspekte. Hauptunfallursache war Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit, gefolgt von Vorfahrtsfehlern sowie einer Einschränkung der Verkehrstüchtigkeit durch Übermüdung, Sekundenschlaft, Alkohol- und Drogenkonsum. 89 Prozent aller Unfälle werden durch menschliches Fehlverhalten verursacht.
Zudem gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Während Frauen Unfälle hauptsächlich durch Vorfahrtsfehler, gefolgt von Fehlern beim Überholen verursachten, lösten Männer Unfälle statistisch signifikant häufiger durch Geschwindigkeitsübertretungen, gefolgt von Vorfahrtsfehlern und einer Einschränkung der Verkehrstüchtigkeit aus.

veröffentlicht in: Deutsches Ärtzeblatt 18.6.2004