Geburtsangst

Manja Ronstedt war gerade aus Leipzig mit ihrem Ehemann ins Rheinland gezogen, sie hatte noch keine neue Anstellung als technische Zeichnerin gefunden – da wurde sie schwanger. Es war nicht geplant, aber es war ein Wunschkind, so sagt die 26jährige. Für sie war es die erste Schwangerschaft und sie hatte große Angst vor dem Ungewissen. Nun kamen all die „Schreckgeschichten“ hoch, die sie mal hier und da über Bekannte von Bekannten gehört hatte, Dammriss, Luftzufuhr des Kindes abgeschnürt, mit der Saugglocke geholt – eine Geburt schien voller Gefahren.
Aus dem Telefonbuch suchte sie sich einen nahe gelegenen Gynäkologen, doch fand sie hier keinen Mut zum Fragen, zum Ausbreiten ihrer Ängste. Ihr wurde auch kein Mut gemacht, im Nachhinein sieht sie sich als „Nummer“ im medizinischen Betrieb. Dazu kam, dass Freundinnen und Familie nur am Telefon zu erreichen waren, auch für die Partnerschaft war der Umgang mit ihren Ängsten nicht einfach.
Sie grübelte, bekam Schlafstörungen, war nervös und überempfindlich – gerade letzteres forderte die Geduld ihres Mannes, manchmal mehr als ihm möglich war.
Dann besuchte sie einen Geburtsvorbereitungskurs bei einer freien Hebamme. Und die hatte Zeit zum zuhören, keine angesprochene Angst war „dumm“ oder „überflüssig“ sondern eben eine reale Angst, zu der sie einen Rat geben konnte. „Am wichtigsten im Umgang mit meinen Ängsten vor der Geburt war es, dass ich mir da endlich nicht mehr alleingelassen vorkam! Hier hatte jemand Verständnis, das war wie befreiend!“ sagt Manja Ronstedt heute noch.
Das Kind war dann überfällig und der Gynäkologe empfahl ihr, ins Krankenhaus zu gehen. Dort wurde ein Wehenbelastungstest gemacht, bei dem die Fruchtblase angerissen ist. Nun wurden Wehen eingeleitet, sie bekam eine PDA und hatte zunehmend Angst, weil auch die Hebammen und Ärzte im Kreißsaal besorgt wurden, dass da Kind immer noch nicht kam. Dann wurden die Herztöne des Kindes schwächer. Ein Arzt kam, sagte, sie müssten nun ganz schnell einen Notkaiserschnitt machen und hielt ihr eine Einwilligungserklärung zum Unterschreiben hin. „Das ging alles sehr schnell. Ich wurde wie ein Stück Fleisch von einer Trage zur nächsten gehievt, war völlig ausgeliefert und hatte große Angst. Im Nachhinein sagte ich zu einer Freundin, dass ich mich in dieser Situation wie ein Schwein auf der Schlachtbank gefühlt habe.“ Dann war der Sohn da, sie hat ihn gehört – und als er ihr kurz darauf nach einer Untersuchung mit einem „alles in Ordnung“ in den Arm gelegt wurde, waren erst einmal alle Ängste vergessen – und Manja Ronstedt hatte einen Kreislaufzusammenbruch.
Heute ist Sohn Elias 8 Monate alt. Manja Ronstedt möchte erst einmal wieder arbeiten gehen, aber auch ganz bestimmt noch ein zweites Kind. „Die Angst vor den Schmerzen bleiben. Aber beim nächsten Mal gehe ich zuerst zur Hebamme und ich denke, ich werde mir weniger Sorgen machen.“

Tanja Leue, 34jährige Buchhändlerin, hatte zwar Angst vor den Schmerzen, aber, so sagt sie, „eigentlich keine wirkliche Geburtsangst. Ich dachte, das lasse ich auf mich zukommen, wenn es zu viel wird gibt es die PDA und ich schaffe das schon.“ Dann aber musste auch sie einen Notkaiserschnitt erleben, den sie als traumatisch erlebt hat. „Da war dann Unruhe und ich bin in Panik verfallen, Geburtsstillstand, ich hatte entsetzliche Angst und ja auch schon einen Tag Wehen, also große Schmerzen gehabt.“ Die dreijährige Julia wurde dann gesund geboren und heute ist Tanja Leue wieder schwanger. Für sie gibt es nur eines: „Diesmal habe ich mich von vornherein für einen Kaiserschnitt entschieden, ich habe sonst zuviel Angst!“

Für Marinika Berghahn war es klar: Es soll eine Spontan-Geburt werden. Die IT-Managerin war 36, als sie das erste Mal schwanger wurde und freute sich auf ihr Kind. Sowohl bei ihrer Gynäkologin als auch bei der Hebamme im Geburtsvorbereitungskurs fühlte sie sich gut aufgehoben und rundum versorgt mit Informationen zur Geburt. Natürlich hörte auch sie die Horrorgeschichten von Totgeburten und Komplikationen – doch alles in allem blieb sie ruhig. „Da war die Angst, ausgeliefert zu sein, unter der Geburt auf Hilfe angewiesen zu sein und dann im Krankenhaus auch noch von fremden Hebammen und Ärzten.“
Natürlich würde es weh tun: „Aber vor Schmerzen hatte ich keine Angst. Erst als ich merkte, wie viele Medikamente es gegen Wehen- und Geburtschmerzen gibt, bis hin zur PDA, da dachte ich: Vielleicht schaffe ich das ohne gar nicht, wenn es nicht ganz schlimm wäre, dann gäbe es doch nicht so viele medikamentöse Angebote.“ Im Nachhinein kam sie zu der Überzeugung, dass das Überangebot an Medikamenten und Werbung dafür die Angst vor Schmerzen bei ihr erst geschürt hat. Trotzdem: „Das haben schon viele geschafft, dieser alte Spruch hat mir tatsächlich geholfen.“ Dann aber wurde ihr ein geplanter Kaiserschnitt empfohlen, weil das Kind sich einfach nicht drehen wollte. „Das war dann eine sichere, beruhigende Vorstellung. Nur gab es dann kaum Informationen über den Kaiserschnitt, das hat mich wieder verunsichert: Warum will da niemand detailliert Auskunft geben, also diesmal kam die Furcht, das es gefährlich sein könnte weil zuwenig Informationen da waren.“ Ihr fehlte die neutrale Stelle – auf der einen Seite waren die Klinikärzte, die den Kaiserschnitt anpriesen und auf der anderen Seite Hebammen und Heilpraktiker, die die Spontangeburt hochhielten. „In meiner konkreten Lage hat mir das nichts genützt.“ Den Klinikaufenthalt selbst hat sie dann aber sehr positiv erlebt: „Es war eine ruhige Atmosphäre, alles wurde mir direkt erklärt und ich habe durch die örtliche Betäubung auch nicht das Gefühl, die Geburt verpasst zu haben.“ Nur etwas hatte ihr niemand gesagt: „Die Wundheilungsschmerzen waren die Hölle, das hat mich völlig unvorbereitet getroffen.“ Sie würde immer wieder versuchen, in jeder Situation offen zu sein für Veränderungen, denn:“ Eine Schwangerschaft, eine Geburt, lässt sich nicht exakt planen, also werde ich wieder versuchen, bestmögliche Kontrolle über das Geschehen bei aller notwendigen Flexibilität.“ Sie lacht und sagt: „Wie in meinem Beruf.“

„Ich hatte keine Angst vor der Geburt. Mit der Begleitung durch Hebamme und Ärztin freute ich mich mit meinem Mann auf unser erstes Kind. Es sollte alles perfekt werden.“ Für Sabrina Bolesch gehörte nach reiflicher Überlegung eine Wassergeburt zum Besten, was sie sich und ihrem Kind bieten könne. Dann aber kamen die Wehen früher als erwartet, sie musste ins Krankenhaus, wo der Kreißsaal für die Wassergeburten belegt war. „Da habe ich Angst bekommen, fast panisch, ich wusste nicht, wie es weitergehen sollte, was auf mich zukam. Ich hatte mich ganz auf die schmerz-ärmere Geburt unter Wasser konzentriert und dachte auch dass ich meinem Kind damit das Beste biete. Und nun war ich dazu nicht in der Lage.“ Sabrina Bolesch ließ sich eine PDA geben – aus Angst, wie sie sagt. Die Geburt dauerte mit 10 Stunden nicht schrecklich lange und ihr Mann und insbesondere eine der Hebammen, so sagt sie, habe sie wieder beruhigen können. Für sie ist es im Nachhinein „eine harte Schule gewesen, auch mit Schuldgefühlen, ob ich meiner Svenja nicht die beste Geburt geboten habe, das hat gedauert, bis ich mir zugestehen konnte, dass ich es eben nicht in der Hand hatte.“

veröffentlicht in: Deutsche Hebammenzeitschrift 8/2005