Die Mörderin, das Biest

Hinrichtung: Frauen werden in den USA statistisch weniger oft zum Tode verurteilt als Männer. Beim Strafmaß spielen rassistische und sexistische Kriterien eine entscheidende Rolle

Im Jahr 2001 sind in 31 Ländern mindestens 3048 Todesurteile vollstreckt worden. Die Dunkelziffer ist hoch, viele Staaten halten Hinrichtungen geheim. 66 Menschen starben in den USA durch den Staat. Die USA stehen damit in trauter Gesellschaft von Staaten wie China (2468), Iran(139) und Saudi-Arabien(79) – in diesen 4 Ländern werden insgesamt 90 Prozent der weltweiten Hinrichtungen vollstreckt.
Todesurteile gibt es in 38 der 51 US-Bundesstaaten, für Mord in besonders schweren Fällen, für Anstiftung zum Mord und in manchen Staaten auch für KomplizInnen. Auch die übergeordnete Bundesregierung hat ein eigenes Justizsystem welches die Todesstrafe vorsieht; auch bei organisiertem Drogenhandel, Autodiebstahl mit Todesfolge, Anschlag auf den Präsidenten und weiteren 97 Straftatbeständen kann man hier zum Tode verurteilt werden. Staaten ohne Todesstrafe sind Alaska, Hawaii, Iowa, Maine, Massachussetts, Michigan, Minnesota, Rhode Island, Vermont, West Virginia und Wisconsin.

Wahlkampf
Todesstrafe ist jedoch kein Thema von Schuld oder Unschuld – es ist ein politisches Thema in politischen Wahlkampfschlachten. In den USA begann man Ende der sechziger Jahre, Kriminalitätsbekämpfung als Wahlkampfthema zu benutzen – zuerst tat sies Richard M. Nixon, Präsident von 1969 bis1974. Er schürte die irrationale Angst mit Hinweisen auf die Verbrechensrate, die »neunmal schneller wachse als die Bevölkerung« Die von Medien und Politikern behauptete, real aber nicht existierende Kriminalitätsrate wird in diesem Stil bis heute bedient. Das Argument, »die Angst der Bevölkerung ernst zu nehmen«, tut gerade dies nicht: Meist könnte schon die Kriminalstatistik die Bevölkerung beruhigen.
PolitikerInnen, die die Rechte der Angeklagten ansprechen, haben die nächste Wahl schon verloren. Dass man die Rechte der Opfer und der Angeklagten im Blick haben kann geht völlig unter. In Wahlkampfjahren ist es statistisch gesehen besonders wahrscheinlich, in einem Prozess zum Tode statt zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt zu werden. Auch Präsident Clinton fuhr in seinem ersten Wahlkampf um den Platz im Weißen Haus extra zurück nach Arkansas, wo er Governeur war, um die Hinrichtung eines Mannes zu unterzeichen.
Das Justizsystem der USA unterscheidet sich in wichtigen Punkten von unserem. RichterInnen werden in den meisten Bundesstaaten in allgemeinen Wahlen (also von allen Wahlberechtigten) gewählt, in einigen vom Gouverneur/der Gouverneurin ernannt und dann nach einigen Jahren direkt vom Volk wiedergewählt – oder abgewählt. Also führen auch Richterinnen und Richter Wahlkämpfe, ihr ausschließliches Thema ist: die Kriminalitätsbekämpfung. Innerhalb des letzten Jahrzehnts sind alle Richter, die grundsätzliche Bedenken gegen die Todesstrafe haben, aus den Gerichten der Einzelstaaten abgewählt worden.
Auch die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in den USA werden gewählt. Erfolg ist für die Staatsanwaltschaft ein gewonnener Prozess – nicht unbedingt die Wahrheitssuche. Je mehr Verurteilungen, desto populärer der/die StaatsanwältIn. Dabei heißt Gewinnen heißt nicht immer, ein Todesurteil zu fordern – bei populären Angeklagten wird bei Schuldspruch eher Haft gefordert – um zu gewinnen.

Für weiße Frauen lebenslänglich
Es gibt in den USA schätzungsweise 25.000 Tötungsdelikte im Jahr. Ein Prozent davon, das heißt rund 250 Delikte, werden mit der Todesstrafe geahndet. Frauen begehen knapp zehn Prozent der Morde, aber nur knapp zwei Prozent der Todesurteile werden gegen Frauen ausgesprochen
Seit 1973 wurden in den USA 143 Frauen zum Tode verurteilt (Stand November 2002), 51 Urteile haben noch Bestand, zehn Frauen wurden seit 1973 hingerichtet, die restlichen 82 Urteile wurden in lebenslange oder langjährige Freiheitsstrafen umgewandelt. Ein Drittel der zum Tode verurteilten Frauen sind schwarz, in der Gesamtbevölkerung gibt es aber nur rund zwölf Prozent Schwarze.
Von den 51 Frauen, deren Todesurteil noch Bestand hat, sind fast 50 Prozent schwarz. Das heißt: Bei weißen Frauen wird ein Todesurteil häufiger in lebenslänglich oder eine andere Strafe umgewandelt. Allerdings spielen bei der Umwandlung von Todesurteilen auch noch andere Faktoren eine Rolle, zum Beispiel der Staat, in dem man verurteilt wurde: In Florida werden 50 Prozent aller Todesurteile in Haftstrafen umgewandelt, in Texas fast keines! Rassismus spielt im Justizsystem, vor allem bei der Verurteilung zum Tode, eine immense Rolle – mehr als in jedem anderen gesellschaftlichen Bereich in den USA. Besonders zeigt sich dieser Rassismus wenn man sich die Hautfarbe der Opfer anschaut: Die Morde an Weißen werden strenger verfolgt und geahndet. Wenn jemand ein weißes Opfer ermordet, ist es wahrscheinlicher, dass er oder sie zum Tode verurteilt wird. Frauen töten innerhalb ihrer Familie – die ist meist ihrer Hautfarbe, deshalb gibt es prozentual mehr weiße Frauen als weiße Männer im Todestrakt: Nicht weil sie weiß sind, sondern weil ihre Opfer weiß sind.
Die Todesstrafenprozesse gegen Frauen zeigen zudem eine »frauenspezifische« Strategie der Staatsanwaltschaft, die Frauen zu entmenschlichen: Sie seien keine »richtigen Frauen«. Besonders gerne benutzt die Staatsanwaltschaft eine Maskulinisierung. Ausgesprochen oder unausgesprochen wird ihr »Lesbischsein« – egal ob zutreffend oder nicht – als Indiz für ihre Bestialität genutzt. In einem Interview sagte die Produzentin eines Filmes über Frauen im Todestrakt (BBC) Mitte der neunziger Jahre: »Es sind heute fast 50 Frauen in den USA zum Tode verurteilt. Fachleute schätzen, dass etwa 40 Prozent von ihnen lesbisch sind oder während des Prozesses mit der Behauptung, es zu sein, konfrontiert wurden. Dies scheint eine absurd hohe Zahl.(…) Aber selbst wenn der Anteil der Lesben nicht 40, sondern nur zwanzig Prozent beträgt, besteht eine gravierende Ungerechtigkeit. Der Anteil der Lesben in der Bevölkerung wird auf zwei bis vier Prozent geschätzt.« (ai-Journal 3/1999)
Eine besonders pikante Variante von Sexismus zeigt sich bei der Ausführung des Urteils: »Ich erkläre nicht, die Todesstrafe nicht zu verhängen, wenn der Mörder eine Frau war, aber es gibt einen natürlichen Widerstand, Frauen zum Tode zu verurteilen. Ich bin vielleicht ein Dinosaurier, aber in der Vergangenheit haben wir Frauen mit mehr Respekt behandelt. «So äußert sich der Staatsanwalt des Oklahoma County District, der bis Anfang des Jahres 2000 für 52 Männer und zwei Frauen erfolgreich die Todesstrafe forderte. Nach Einschätzung von Victor Streib, Juraprofessor aus Ohio und Verfasser einer Studie über zum Tode verurteilte Frauen, zeigt sich hier ein besonderer Chauvinismus: »Es ist wie wenn man eine Frau auf den Fußballplatz lässt: Sie umzustoßen bringt nicht denselben Kick wie einen Mann umzunieten. Die Todesstrafe ist Mann gegen Mann.»
Seit 1900 sind in den USA bisher 50 Frauen hingerichtet worden, zehn davon seit Wiedereinführung der Todesstrafe 1977 – davon wiederum fünf erst in diesem Jahrhundert.
Unter den Hingerichteten früherer Jahre befindet sich auch Ethel Rosenberg, 1953 wegen angeblicher Atomspionage auf dem elektrischen Stuhl, und die schwarze Virginia Christian, die am 16. 8. 1912 auf dem elektrischen Stuhl sterben musste weil sie »ihren Arbeitgeber verprügelt hat«.

Lesbe, Kindsmörderin, zurückschlagende Ehefrau
Eine weitere Variante der »unweiblichen Frau« ist die Kindsmörderin. Elf Frauen sind zur Zeit wegen dieses Delikts im Todestrakt. Am 2. Mai 2000 wurde die 28-jährige Christina Riggs in Arkansas hingerichtet. Sie hatte alle Berufungen zurückgezogen: Der Staat sollte vollenden, was sie selbst nicht geschafft hat. 1998 wurde sie wegen Mordes an ihren zwei Kindern, dem fünfjährigen Justin und der zweijährigen Shelby, zum Tode verurteilt. Christina Riggs spritzte sich eine tödliche Dosis Gift nachdem sie erst ihre beiden Kinder, fünf und zwei Jahre alt, getötet hatte: Sie wollte sie nicht allein lassen. Christina Riggs überlebte, um schließlich als »Monster, welches ihre Kinder eiskalt ermordete, da sie ihr im Weg waren – eine Gefahr für die Gesellschaft« vom Staatsanwalt beschrieben zu werden. Die Jury, sieben Frauen und fünf Männer, brauchte keine Stunde, um Christina Riggs zum Tode zu verurteilen. Christina Riggs bedankte sich und sagte vor ihrer Hinrichtung: »Ich werde mit meinen Kindern bei Gott sein. Ich werde keine Schmerzen mehr spüren, vielleicht finde ich sogar etwas Frieden.«
Ein weiteres Klischee ist die »zurückschlagende Ehefrau«: Am 24. Februar 2000 wurde Bettie Lou Beets, 62 Jahre alt, nach 15 Jahren im Todestrakt, in Texas hingerichtet. Sie war 1985 wegen Mordes an ihrem fünften Ehemann, Don Beets, zum Tode verurteilt worden. Auch die Leiche ihres vierten Ehemannes war in ihrem Garten entdeckt worden. Ihr Pflichtverteidiger war während des Prozesses offensichtlich durchweg betrunken – eine Tatsache, die weder Staatsanwalt noch Richter in irgendeiner Weise störte, ebensowenig eines der Berufungsgerichte.
Die Jury erfuhr nichts über das Leben von Bettie Lou Beets. Schon als Kind vom Stiefvater misshandelt, sehr arm aufgewachsen, erlitt sie durch Misshandlung als Jugendliche einen Hörschaden, der sie nahezu taub machte. Ganz zu schweigen von den psyschichen Folgen der Misshandlungen, die alle ihre Ehemänner fortsetzten. Bettie Lou Beets, die mit 15 Jahren das erste mal heiratete, flüchtete aus vielen Gewaltbeziehungen in die Arme ihres nächsten Misshandlers. Sie sagte vor ihrer Hinrichtung: »Ich warte auf die Giftspritze wie auf die Rückkehr meines gewalttätigen Ehemannes.« Das von Experten diagnostizierte »battered wife syndrom« brachte ihr vor dem Berufungsgericht nicht den Anspruch auf ein neues Verfahren.
Zur Zeit leben 13 Frauen in Todestrakten der USA, die verurteilt sind, Ehemann beziehungsweise Lebensgefährten umgebracht zu haben. Cathy Thompson, eine der Frauen, die durch einen Auftragsmord ihren Mann und Peiniger loswerden wollte und heute im kalifornischen Todestrakt sitzt, schreibt: »Der Missbrauch der Frau beginnt wenn sie ein Kind ist und endet im sogenannten Justizsystem.« 40 Prozent der von Frauen begangenen Tötungsdelikte sind Notwehrtaten – auch, wenn manchmal das Opfer, der Peiniger, in der Tötungssituation schlief. Zum Tode verurteilt wird allerdings nur ein kleiner Teil dieser Frauen.
Aileen Wuornos, Florida, erfüllt das Klischee der »lesbischen Serienmörderin«. In der Zeit zwischen 19 und 29 bringt sie 7 Männer um, alles Freier. Aileen Wuornos lebte in einer lesbischen Beziehung, dies wird auch beim Prozess thematisiert. Sie sagt, sie habe jeweils in Notwehr gehandelt, die Männer wollten zudringlich werden. Beim Prozess ist sie unflätig, beschimpft die Geschworenen – das Klischee der Lesbe passt ins Bild. Sie gibt ihre Berufungen auf, will hingerichtet werden, sagt, sie würde wieder töten. Es gibt Zweifel an ihrer Zurechnungsfähigkeit. Sie wird am 9. Oktober 2002 hingerichtet.
Wanda Jean Allen, Oklahoma, wird 1989 wegen des Mordes an ihrer schwarzen Lebensgefährtin verurteilt. Sie hatte sie kennen gelernt, als sie im Gefängnis saß, verurteilt wegen Totschlages an ihrer ersten Lebensgefährtin. Die Verwandten der Toten beschreiben sie im Prozess als die »Männliche, Brutale«. Am 11. Januar 2001 wird sie hingerichtet.

Leben im Todestrakt
Vor der Hinrichtung – zwischen Urteil und Vollstreckung, liegt das Leben im Todestrakt, in den USA sind das durchschnittlich acht Jahre on death row. Da in einigen Staaten jeweils nur eine einzige Frau zum Tode verurteilt ist, heißt das zwangsläufig Isolationshaft. So ist zum Beispiel Robin Lee Row seit 1993 in Idaho isolierte Insassin. Sie hört zwar andere weibliche Gefangene, ihr ist es aber verboten mit ihnen zu sprechen.
Überall sind Ganzkörperdurchsuchungen üblich, wie sie Pamela Lynn Perillo in Texas beschreibt: »Wir werden nackt durchsucht, sechs bis acht mal am Tag, obwohl wir das Gebäude niemals verlassen und meistens in unseren Zellen sind. Wir werden nackt durchsucht bevor wir für eine Stunde am Tag die Halle betreten dürfen, und wir werden wieder durchsucht bevor wir in unsere Zelle gehen. Wir werden vor dem Duschen durchsucht und – obwohl uns die ganze Zeit ein Officer nicht aus den Augen lässt – nach dem Duschen auch. Sie durchsuchen uns, wenn sie unsere Zellen durchsuchen, und das tun sie jeden Tag. Manchmal auch zwei oder dreimal am Tag oder in der Nacht, jederzeit.«
23 Stunden Einschluss in der Einzelzelle, Anstaltskleidung, kein Fernsehen, kaum Zeitschriften, mit Plexiglas verhängte Zellenfenster – das heißt nie mehr ein Blick auf den Himmel, keine Telefonate, Besuche ohne Kontakt (Vorher und Nachher Ganzkörperdurchsuchungen!) sind einige weitere der Lebensbedingungen on Texas death row – dort sitzen zur Zeit acht Frauen. Pamela erzählt mir, dass sie in ihrem neuen Gefängnis, zusammen mit 40 Frauen in einer Art Gemeinschaftszelle – wo also viel mehr Austausch, Handel, Schmuggel möglich ist, viel weniger körperdurchsucht wird.
In den USA wird heute meist mittels tödlicher Injektion hingerichtet. Aber auch der elektrische Stuhl ist noch üblich. In manchen Staaten können Verurteilte noch andere Hinrichtungsmethoden »wählen«: Gaskammer, Erhängen, Erschießen.
Köpfen, bis zur Abschaffung der Todesstrafe 1949 in Deutschland die bevorzugte Methode des staatlichen Mordes, gibt es in den USA nicht. Jede Zeit hat ihre angeblich fortschrittlichen Tötungsmethoden. Anfang des Jahrhunderts, als die Elektrizität Zeichen von Fortschritt und Modernität war, hatte der elektrische Stuhl seinen Siegeszug. Heute verhilft er manchen Verurteilten zu einer »Galgenfrist«, da sie vor der anberaumten Hinrichtung klagen, der elektrische Stuhl sei unmenschlich und grausam und verstoße damit gegen die amerikanische Verfassung.
Judy Buenano wurde 1985 in Florida wegen Mordes an ihrem Ehemann verurteilt. 1990 klagte sie mit eben genannter Begründung gegen ihre für das gleiche Jahr anberaumte Hinrichtung – in Florida war der elektrische Stuhl damals die einzige Exekutionsmethode. Einen halben Tag vor der Hinrichtung wurde ihrer Klage stattgegeben. Später wiederrief ein Gericht den Einspruch – Am 30. März 1998 richtete Florida Judy Buenoano schließlich hin – auf dem elektrischen Stuhl. Zwölf Minuten nach Beginn der Exekution wurde sie für tot erklärt.

veröffentlicht in: Der Freitag, 2003