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Amanda Eyre Ward: Die Träumenden
Zu arm für einen guten Verteidiger
Die Mörderin, das Biest
Einsame Rufer?
Man wollte sie hinrichten
Leben ohne Papiere
Wem erzähle ich von meiner HIV-Infektion? Diese Frage stellt sich jeder Positive irgendwann, und gerade viele schwule Männer erleben dies oft als ein Deja Vú. „Ich bin HIV-positiv“: Dieser Satz im Familien- und Freundeskreis ist wie ein zweites, meist das schwierigere, Coming-out. Ein solcher Schritt des „Bekenntnisses“ ist nie einfach – und bietet dennoch auch Chancen, ein kräftezehrendes Versteckspiel gegen Offenheit und Vertrauen einzutauschen.
Das eigene positive Testergebnis ist eine Nachricht, die das Leben auf den Kopf stellt. In vielen fällen sind die ersten Reaktionen Verunsicherung, Angst und Scham. Wer sich outet, infiziert zu sein, hofft deshalb auf einen vertrauten Halt und Unterstützung in einer schwierigen Zeit. Früher oder später stellt sich für jeden die wichtige Frage: Wem soll ich mich anvertrauen? Dabei gibt es gute Gründe, dieses Coming-out ausgewählten Menschen gegenüber zu wagen. Wem gegenüber, in welcher Form und nicht zuletzt wann, sollte man aber selbst bestimmen und genau überlegen. Schließlich öffnet man eine Tür, hinter der man den Raum noch nicht kennt, die man aber nicht mehr schließen kann.
Martin Heinze, Dipl.-Pädagoge und Berater zu HIV im Rubicon, Beratungszentrum für Lesben und Schwule in Köln, kennt zahlreiche Coming-out-Erfahrungen: „Manchmal erlebe ich, dass Betroffene geradezu Kamikazeartig im ersten Schock sehr vielen Menschen erzählen dass sie krank sind. Mein dringender Rat ist, sich selbst erst die Zeit zu geben um die Nachricht zu verdauen. Und auch, wenn man sich später entscheidet, es zum Beispiel den Eltern zu erzählen – wofür es gute Gründe gibt – sollte man dies wohlüberlegt tun, nicht beim Weihnachtsessen damit herausplatzen.“
Der beste Grund, die Eltern oder Freunde zu einem Gespräch zu bitten und sich als HIV-positiv zu outen, ist, die Beziehungen zu geliebten Menschen weiterhin nah und offen gestalten zu wollen. „Das Nichtouting schafft eine Mauer zwischen der betroffenen Person und den ihr nahe stehenden Menschen. Das verhindert Nähe,“ so Martin Heinze.
Nähe und Vertrautheit sind denn auch die Kriterien, nach denen man die Menschen aussuchen sollte, denen man von der eigenen Ansteckung erzählt. Trotz eigener Ängste den Schritt des Coming-out zu wagen, macht dies auch Unterstützung möglich. Denn oft sind die Reaktionen nicht einfach ablehnend. „Allerdings sollte man den Eltern Zeit geben – so wie man sie selbst ja auch gebraucht hat.“ Man kann seinerseits Unterstützung anbieten, indem man zum Beispiel den Eltern oder Freunden etwas über HIV zu erzählen. Wissen über die Krankheit hilft oft gegen diffuse Ängste.
Es in jedem Fall schwierig, sich mit einer schweren Krankheit zu offenbaren, dazu schwingt bei HIV und AIDS – im Gegensatz zu Krebs – immer noch die Schuldfrage mit. Dass es darum nicht geht, auch das kann auf einem gemeinsamen Weg erkundet werden. Zudem gibt es für Angehörige Netzwerke, die ihnen einen Austausch mit Ihresgleichen ermöglicht (siehe Infokasten). Martin Heinze rät dazu, „ganz oder gar nicht“ mit offenen Karten zu spielen: „Wenn man sich outet, sollte man zu sich selbst und seinem Lebensweg stehen, anstatt beispielsweise eine Bluttransfusion als Übertragungsweg zu erfinden.“ Sonst hintertreibt man sein eigenes Bedürfnis nach Offenheit und seine Bitte um Vertrauen, denn solche Notlügen sind meist spürbar.
Coming-out ist ein Beginn
Das Coming-out in der Familie ist der Beginn eines gemeinsamen Weges. Es gilt abzusprechen, wem man sich anvertraut, warum es aber jene Tante oder ein bestimmter Onkel nicht erfahren sollte. Indem Eltern sich auf den Weg machen, sich mit HIV auseinanderzusetzen unterstützen sie ihr „Kind“. Und dieses kann wiederum seinen Eltern signalisieren, dass sie sich Zeit geben dürfen, alles fragen können und keine Schuld haben. Allerdings sollte man erwachsen genug sein, die Eltern mit Ängsten wie „was werden die Nachbarn sagen“ allein zu lassen. Eine Offenbarung löst beim Gegenüber immer Gefühle aus, aber man sollte nicht für alle diese Emotionen die Verantwortung übernehmen. Sicher ist, dass der – auch aufwühlende und mitunter schmerzhafte – Prozess der gemeinsamen Annäherung Beziehungen näher und intensiver werden lässt.
Beratung hilft und entlastet
Wer sich nicht outet, wird in der Familie mit seiner Infektion, den alltäglichen Problemen und den Ängsten, die damit einhergehen, allein sein. Er wird mit Lügen leben, zum Beispiel Tabletten verstecken müssen. Eine psychosoziale Beratung kann Entlastung bringen und Klarheit schaffen, wie man sich weiter verhalten will. Denn in der Beratung ist Reden über alles erlaubt und ohne Konsequenzen für den Alltag, es bleibt unter vier Augen. Sich einen Schritt vorzuwagen und Hilfe zu suchen, ist ein Schritt heraus aus möglichen Tiefen. So beflügelnd ein Coming-out sein kann, welches auf positive Reaktionen stößt, auf Anerkennung für Mut und Vertrauen: Der Weg dahin ist nicht zu unterschätzen.
Für Martin Heinze gibt es übrigens einen Fall, in dem das Nichtouting speziell gegenüber Eltern durchaus angezeigt ist: „Einige erkrankte Männer sind jenseits der 40 oder 50. Wenn sie wiederum sehr alte Eltern haben und sich die Rollen gedreht haben, diese Männer also beispielsweise die kranken Eltern pflegen, dann ist Schweigen manchmal bewusste Fürsorge. Das geht dann gut, wenn die Betroffenen eine soziale Familie haben, in der sie gut aufgehoben und angenommen sind.“
INFO
Schwulenberatungen zu psychosozialen Fragen mit HIV-Schwerpunkt:
Köln: www.rubicon-koeln.de
München: www.subonline.org
Hamburg: www.mhc-hamburg.de
Berlin: www.schwulenberatungberlin.de
Dresden: www.gerede-dresden.de
Bremen: www.ratundtat-bremen.de
Münster: www.kcm-muenster.de
Mannheim: www.plus-mannheim.de
Siegen: www.andersroom.de
Bochum: www.rosastrippe.de
Auch die AIDS-Hilfen beraten: www.aidshilfe.de
Angehörigennetzwerk:
Seit 1997 existierendes Netzwerk der Angehörigen von Menschen mit HIV und AIDS. Bundesweit leisten die Mitglieder – Partner, Eltern, Freunde von HIV-positiven Menschen – aktive Angehörigenarbeit und wenden sich sowohl an die biologische als auch an die soziale Familie von Menschen mit HIV und AIDS. Die Mitglieder des Netzwerkes informieren, beraten und unterstützen Anghörige bei der Suche nach Rolle und Identität für Zugehörige und kooperieren eng mit der AIDS-Hilfe e.V.
www.angehoerige.org
erschienen Dez. 2009 in Life HIV.