Alkohol in der Schwangerschaft

1.Schwangerschaft und Alkohol: Fakten und epidemiologische Studien
Pro Jahr werden in Deutschland rund 2200 Kinder mit starken, durch Alkoholkonsum der Mutter/ Eltern verursachten Schäden geboren, rund 8000 Kinder mit weniger schweren Schäden aufgrund derselben Ursache. Diese Zahlen sind Schätzungen, eine systematische Untersuchung gibt es in Deutschland nicht, zudem wird das FAS (Fetale Alkoholsyndrom) und FAE (fetale Alkoholeffekte) oft nicht richtig diagnostiziert.
Epidemiologischer Studien fragen nach der Dosis, in der Alkohol für das sich entwickelnde Kind schädigend wirkt, ob auch moderater Alkoholgenuss oder das episodische Trinken schädigend sind, ob es besonders kritische Zeitpunkte der Schwangerschaft gibt, in der sich Alkohol besonders schädigend auswirkt und ob externe Kofaktoren wie Rauchen, Arzneimittel, Ernährung oder die individuelle Empfindlichkeit die Wirkung von Alkohol beeinflussen.
Hiltrud Merzenich und Peter Lang haben im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) im Jahre 2002 eine Expertise veröffentlicht, in der Grundlagen für die Entwicklung von Beratungsunterlagen zum Thema „Schwangerschaft und Alkoholkonsum“ erarbeitet wurden. Dazu haben die beiden Wissenschaftler vom Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (Bips) die Studienlage eruiert.
Eine deutsche Studie zum Thema lag nicht vor, die meisten wurden in den USA und Kanada durchgeführt.
Fazit: Das Risiko von alkoholkranken Frauen, ein Kind mit fetalem Alkoholsyndrom zu gebären, beträgt 30-40 %, d.h. etwa ein Drittel der während der Schwangerschaft stark trinkenden Frauen werden ein FAS-geschädigtes Kind bekommen. Eine Schädigung des Kindes bei moderatem Alkoholkonsum (14 g Alkohol pro Tag) ist nicht auszuschließen.
Betroffen sind sowohl die physische wie auch psychische Entwicklung des Kindes, das Ziel einer Prävention sollte deshalb der Nullkonsum der Schwangeren sein. Vom chronischen Konsum auch kleiner Mengen ist abzuraten, aber auch episodisches Trinken höherer Mengen ist unbedingt zu meiden. (Merzenich, Lang: Alkohol in der Schwangerschaft – Ein kritisches Resümée. Expertise im Auftrag der BZgA, 2002)

2. Status von Alkohol in unserer Gesellschaft, Trinkverhalten von Frauen
Der ambivalente Umgang der Gesellschaft mit Alkohol – einerseits sozial etabliertes Genussmittel und „Stimmungsmacher“, andererseits geächtetes Suchtmittel (geächtet werden auch einige Gruppen von alkoholkranken Menschen, v.a. wenn sie einen verwahrlosten Eindruck machen und obdachlos sind) – macht den offenen Umgang mit dem Thema Alkohol in der Schwangerschaft nicht leichter. Dazu kommen häufig Scham- und Schuldgefühle der werdenden Mütter, die ihren Alkoholkonsum deshalb oft verschweigen oder verharmlosen (Löser, H. (2000): Alkohol und Schwangerschaft – Embryopathie und Alkoholeffekte. Therapeutische Umschau 57 (4), 1-7)
Die psychosoziale Lage von alkoholkranken Frauen unterscheidet sich von der alkoholkranker Männer v.a. darin:

  • Sie leben öfter allein bzw. mit ihren Kindern als alkoholabhängige Männer
  • Sie gehören im Vergleich mit Männern häufig einer höheren sozialen Schicht an und haben in der Regel die bessere Schulbildung
  • Sie verhalten sich viel angepasster und unauffälliger als alkoholkranke Männer
  • Ihre subjektive Betroffenheit bei der Diagnose ist höher als bei Männern, die damit besser leben können
  • Sie verheimlichen ihren Alkoholkonsum mehr, trinken häufig allein, vermutlich weil in unserer Gesellschaft eine betrunkene Frau weniger toleriert wird als ein berauschter Mann.
  • Ausfallende Verhaltensweisen bei Trunksucht werden bei Frauen weit weniger toleriert.
  • Sie neigen häufiger zu gleichzeitigem Tablettenmissbrauch
  • Ihre Alkoholkarrieren sind kürzer, das liegt auch daran, dass Bezugspersonen bei Frauen den Missbrauch schneller ansprechen

(Schmidt, L. (1997): Alkoholkrankheit und Alkoholmissbrauch. Stuttgart: Kohlhammer)

Gerade für die Prävention des FAS sind die psychosozialen Faktoren, die die Alkoholabhängigkeit von Frauen beeinflussen, unbedingt im Auge zu behalten: Der psychische Druck durch Dreifachbelastungen in Beruf, Haushalt und für Kinder, der Druck, für andere Sorgen zu müssen und nicht zuletzt (sexuelle) Gewalterfahrungen. (Vogt, Irmgard (1994):
Alkoholikerinnen – Eine qualitative Interviewstudie. Freiburg: Lambertus)
Für die Prävention von Schädigungen des heranwachsenden Kindes in der Schwangerschaft sind neben den alkoholkranken Frauen auch die moderaten Trinkerinnen und Gelegenheitstrinkerinnen in die Aufklärung einzubeziehen.

3. Prävention und Hilfsangebote
Wissenschaftliche Studien sind das eine – eine Verhaltensbewusstmachung und gegebenenfalls –veränderung der werdenden Eltern etwas ganz anderes.
Zwei Studien in einer Londoner Geburtsklinik zeigten bei über 1000 befragten Frauen zwischen 30 und 34, dass vor der Schwangerschaft 18 % abstinent lebten, 64% waren moderate Trinkerinnen (1-9 Drinks pro Woche), 19% tranken mehr als 10 Drinks pro Woche von denen wiederum 2 % als starke Trinkerinnen eingestuft wurden (mehr als 28 Drinks pro Woche). (Waterson, E.J/ Murray-Lyon, J.M. (1989): Drinking and smoking patterns amongst women attending an antenatal clinic before and during pregnancy. Alcohol and alcoholism 24(2), 153-173).
Während der Schwangerschaft stieg im ersten Trimester der Schwangerschaft auf 44% an. Der Anteil der Frauen mit kritischem Alkoholkonsums reduzierte sich von 10% auf 6%. Den meisten Frauen ist der Wunsch nach einem gesunden Kind eine starke Motivation zur Einschränkung oder gar zum Entzug. Informationen in den Massenmedien, aber auch Broschüren in Praxen und das Gespräch mit der Ärztin/ dem Arzt und der Hebamme haben allesamt einen großen Einfluss (Waterson/ Murray 1989) Gerade die Information, dass auch geringe Mengen Alkohol einen negativen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes haben, motiviert moderat trinkende Frauen.
In einer Befragung im französischen Roubaix wurde die positive Unterstützung durch den Partner von den Frauen als besonders motivierend empfunden, gefolgt von der Unterstützung durch die Ärztin/ den Arzt und die Hebamme. (Lelong, N. et al. (1995) : Attitudes and behavior of pregnant women and health professionals towards alcohol and tobacco consumption. Patient Education and Counseling. 25(1), 39-49)
Gerade bei geselligem Trinken wird die Mit-Abstinenz des Partners (der Partnerin) als hochmotivierend empfunden.
Ein größeres Problem ist der Alkoholkonsum starker Trinkerinnen. Diese neigen dazu, ihr Trinkverhalten in der Schwangerschaft aufrecht zu erhalten. Dazu kommen deutlich höherer Konsum von Tabletten und illegalen Drogen in dieser Gruppe.
Hilfe für diese Frauen ist nur in der Suchtberatung zu sehen, die – unter Umständen mit ärztlicher Begleitung – den Entzug fördert. Dabei ist eine umfassende Einbeziehung der gesamten Lebenslage der Frau erforderlich. Ambivalente Gefühle gegenüber der Schwangerschaft stehen dabei in direktem Zusammenhang mit höherem Alkoholkonsum.
Öffentliche Aufklärungskampagnen über FAS und FAE unter Einbeziehung der Massenmedien haben in angelsächsischen Untersuchungen gezeigt, dass moderate Trinkerinnen mit höherem Bildungsstand gut erreicht wurden und ihren Alkoholkonsum in der Schwangerschaft reduzierten oder aufgaben. Auch die Mobilisierung von Partnern und eine allgemeine Akzeptanz „trockenen Feierns“ kann so vermutlich gesteigert werden.
Dieser Erfolg sollte deshalb in Deutschland nicht verspielt werden.
Starke Trinkerinnen zeigen sich allerdings weitgehend immun gegen öffentliche Gesundheitsaufklärung.

Idealerweise sollten alle Schwangeren bei Gynäkologinnen und Gynäkologen sowie bei Hebammen auf ihren Alkoholkonsum angesprochen werden und über die Folgen aufgeklärt werden, unverzichtbar ist aber auch das Angebot von Hilfen zur Verminderung des Alkoholkonsums. Der persönliche Umgang von Ärztin/ Arzt und Hebamme mit Alkohol sollte dabei keine Rolle spielen – das setzt eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Trinkverhalten voraus.
Ein Leitfaden wurde von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) für Ärztinnen/ Ärzte und Hebammen zum Umgang mit Schwangeren und Alkohol entwickelt und 2000/ 2001 über die Kassenärztlichen Vereinigungen Niedersachsen, Bremen, Brandenburg und Baden-Würtemberg sowie an alle Landesvertreterinnen der Hebammenvereinigungen verteilt. Die motivierende Beratung wird hier Schritt für Schritt erklärt, zudem eine Broschüre für die werdenden Eltern angeboten, Fragebögen, Alkoholtagebuch und nicht zuletzt eine Rufnummer der BzgA, wenn die Frau weiterer professionelle Unterstützung bedarf. Ebenso werden eine Reihe von Selbsthilfegruppen und Suchtberatungsstellen aufgelistet.
Leider wurden keine wissenschafltiche Studie zur Evalution der Wirkung dieser Maßnahmen durchgeführt, es blieb auch bei dem einmaligen Modellcharakter der Aktion zur Bewusstmachung bei ärztlichem Personal und Hebammen seitens der BzgA.

Die Broschüre der BzGa für die Eltern klärt zunächst über die Wirkung von Alkohol auf, über die häufig nur Halbwissen besteht. Es wird positiv motivierend gearbeitet und den Frauen und ihren Partnern ein Step-to-step Programm mit selbstgesetzten, erreichbaren Zielen angeboten. Empfohlen wird der Nullkonsum, aber jede realistische und den individuellen Lebensumständen der Frau angepassten Reduzierung wird verstärkt.
Dabei wird empfohlen, auch schon bei der Planung der Schwangerschaft auf Alkohol zu verzichten. In dieser Phase ist die Verantwortung des Vaters nicht nur sozialer Natur, weisen doch viele Studien auf eine Minderung der Spermienqualität durch Alkoholgenuss hin, die auch zu Schädigungen des Kindes führen können.

Wenn starke Trinkerinnen erst kurz vor oder während der Schwangerschaft von der Sucht loskommen, können Schuldgefühle und Angst um Schädigungen des Kindes anhalten. Die Vereinigung von Eltern von Kindern mit FAS kann hier – auch für Hebammen und Ärztinnen/ Ärzten – mit fundierten Informationen helfen (www.fasworld.de)

4. Ausblick
In Deutschland hat es bisher keine weitreichende Aufklärungskampagne oder eine gezielte und wissenschaftlich begleitete Förderung von Interventionsmaßnahmen bei Alkoholmissbrauch in der Schwangerschaft gegeben. Präventive Maßnahmen sind kaum sichtbar und eher zufällig als systematisch.
Damit wird vermutlich die Gruppe der gut anzusprechenden Frauen, der moderaten Trinkerinnen, noch viel zu wenig erreicht und die Gruppe der alkoholkranken Schwangeren zu sehr vernachlässigt.
Gespräche mit Gynäkologinnen und Gynäkologen sowie Hebammen idealerweise schon bei der Planung der Schwangerschaft, in jedem Fall aber bei der Begleitung der Schwangerschaft sollten systematisiert und professionalisiert werden.
Zudem sollte evaluiert werden, ob die Suchtberatung von alkoholabhängigen Frauen genug auf den Aspekt Schwangerschaft eingeht.

Abschließend möchte ich ein zweijähriges Projekt im Rahmen des Pregnancy Health Programs in Washington/ Seattle vorstellen – dort schon in den 80er Jahren durchgeführt:
In der gesamten Region wurde das staatlich geförderte Programm durchgeführt, um den mütterlichen Alkoholkonsum zu verringern und fetale Schäden zu verhindern. Rund um die Uhr vermittelte eine hotline alle gewünschten Informationen rund um das Thema Schwangerschaft sowie gezielt Informationen zum Thema „Risiken für das Kind durch Alkohol“ – nicht nur für Schwangere. Zudem wurden problematisch trinkende Frauen über die hotline bei Nachfrage an örtliche Frauenkliniken vermittelt, wo sie besonders intensive Beratungsangebote in Anspruch nehmen konnten.
Die gezielte Ansprache aller Schwangeren durch speziell ausgebildete Krankenschwestern in allen örtlichen Frauenkliniken machte diese mit dem Angebot bekannt. Die Schwestern erhoben eine Basisananamnese zum Alkoholkonsum und berieten die Frauen dann in einem persönlichen Gespräch zur Bewertung. Zudem wurde für Frauen mit riskantem Konsum abgestuft Beratung, Follow-up-Kontakte und ggf. auch Hausbesuche und Familienberatung angeboten.
Erfolgversprechende Interventionskonzepte sind nicht eindimensional sondern setzen auf mehreren Ebenen an. Zudem sollten sie idealerweise nach einer erfolgreichen Evaluation Standardangebot der medizinischen Versorgung werden. Somit gibt es zum Thema „Schwangerschaft und Alkohol“ in Deutschland noch einiges zu tun.

veröffentlicht in: Deutsche Hebammenzeitschrift 4/2005