Die Hinrichtung

Diesen Text habe ich am Tag nach der Hinrichtung von Robert Hudson geschrieben. Die Hinrichtung wurde am 20. November 2008 in Huntsville, Texas vollzogen.

Robert ist tot. Drei Stunden, nachdem er seiner Tochter am Telefon gesagt hatte, dass er heute sterben werde. Die 18jährige, die ihren Vater nach acht Jahren in dieser Woche erst wieder gesehen hatte, bricht zusammen. Sie weint und fleht in den Hörer: „Dont’t leave me Daddy, please, don’t leave me!“

Bei den Baptisten
Ich sitze mit ihr und Roberts Frau im Hospitality House einer Baptistenkirche in Huntsville, Texas. Dort dürfen die Angehörigen der Täter auf die Hinrichtung warten. Auch meine Freundin Wren und zwei britische Freundinnen von Chantal, der belgischen Frau von Robert, warten dort mit mir in der Küche. Irgendwann gibt Robin mir den Hörer und ich höre Robert weinen, das einzige Mal. Wie tief er den Tod von Edith bereut, der Frau, die er aus Eifersucht erstochen hatte, weiß ich nicht. Aber seiner Tochter so weh zu tun, das spürt er, ist falsch. Und diesen Fehler hat er gemacht, unabhängig von der Todesstrafe. Als ich ihn am Hörer habe, realisiere ich, dass der Supreme Court den letzten möglichen „Stay“, die Aussetzung der Hinrichtung, abgelehnt hat. Robert spricht lange mit Chantal, dann noch einmal mit Robin. Er bringt sie zum Lachen. Die Gefühle sind an diesem Tag so nah beieinander, wie das Leben sie hochspült, lachen, weinen, Freude und Schmerz. Auch Wren kämpft mit den Tränen, dann aber puzzelt sie weiter mit Robin an dem Naturbild auf dem großen Küchentisch und die Konzentration auf die kleinen Steinchen federt die tiefe Schwere des Wartens ab. Wieder bekomme ich den Hörer. Robert verabschiedet sich auch von mir. Er sagt mir er sei „in peace“. Schlimm, das höre ich durch, sind für ihn die Menschen, die um ihn herum ihren Job abspulen. Es sind die einzigen Menschen, die ihn noch einmal lebend berühren. Um ihn abzuführen. Anzuschnallen. Die Kanüle für das Gift zu legen. So wie die ganzen letzten neun Jahre, seit die Tür des Todestraktes hinter ihm ins Schloss fiel, es nur Bedienstete, der Seelsorger und ein Arzt waren, mit denen er körperlichen Kontakt hatte. Dazu nur noch den mit anderen Häftlingen. „See you later“ wiederholt er immer, ein „goodbye“ will er auch von mir nicht hören. Er erzählt, wie es ihn berührt habe, als Robin mich heute Morgen in den Arm genommen hat während der Seelsorger kam und mit ihm redete. Ich sage ihm, dass ich Robin einfach in mein Herz geschlossen habe, in diesen Tagen und für sie da sein will, so wie ich es eben kann.
Dann gebe ich den Hörer an Chantal, der der Abschiedsschmerz ins Gesicht eingeschrieben ist, auch ohne Tränen. Sie wird im folgenden Jahr durch die Trauer arbeitsunfähig werden und, noch keine 50, einen Schlaganfall erleiden. Diesen wird sie überleben, sie wird ihren Sohn groß ziehen und sich rührend um Robin und deren Ausbildung kümmern. Und sie wird Robert vermissen, schmerzlich vermissen, jeden Tag. Kurz vor fünf kommen drei Seelsorger: Der Dicke, der Schmierige, der Unscheinbare. Sie hatten im Wohnzimmer, offen zur Wohnküche unseres Wartens, über Schäden der Abtreibung für die Seelen der Frauen diskutiert darüber, und wie man den Teufel aus Menschen austreiben kann, so dass er nicht mehr zurückkehrt. Nun nehmen sie uns alle in einem Kreis an den Händen und beten für den, dem sie das Leben aus dem Leib treiben werden, denn sie sind Teil der Maschinerie des geplanten Todes. Einer von ihnen wird der letzte Mensch sein, der Robert berührt. Er wird am Fußende der Hinrichtungsliege stehen und Roberts Fußfessel halten. Sie beten auch für die, die das Gift in ihn pumpen werden. Und für die Angehörigen des Mordopfers. Diese sind parallel zu uns auf Staatskosten versorgt, untergebracht und psychologisch betreut. Beten sie auch für die Frau, die in anderthalb Stunden Witwe sein wird? Die ihren Mann erst im Gefängnis über Briefe kennen lernte und ihn lebend nie berühren wird.

Die Hinrichtungsstätte
Fünf Uhr. Wir fahren zur „Unit“, dem Gefängnis mitten in Huntsville, in denen die Hinrichtungen stattfinden, 2008 insgesamt 37, Robert ist die Nummer 35. Chantal und ich folgen dem Seelsorger, der uns begleitet. Die anderen aus unserer kleinen Schicksalsgemeinschaft gehen zu der Handvoll Protestierender an der Ecke. Dort stehen diese immer – wenn denn noch welche kommen zu den fast wöchentlichen Hinrichtungsdaten.